Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März 2024 hat Martin Kofler vom Tiroler Photoarchiv (TAP) eine virtuelle Ausstellung über „Frühe Alpinistinnen in den Dolomiten 1870 – 1930“ kuratiert. Die Ausstellung erschließt neue Erkenntnisse zur Visual History der frühen Alpinistinnen in den Dolomiten und ist ab 8. März 2024 auf der Webseite des Tiroler Photoarchivs zu sehen. Portraitiert werden u. A. die Bergsteigerinnen Käthe Bröske, Emmy Eisenberg, Ilona und Rolanda von Eötvös, Jeanne Immink, May Norman-Neruda, Anna Ploner, Beatrice Tomasson und Mary Varale.
Der frühe Alpinismus – darunter ist das Bergsteigen in den Alpen zu verstehen – wie auch die frühe Bergfotografie setzen in der Schweiz und Südostfrankreich bereits in den 1850er Jahren ein. Beides sind elitäre Angelegenheiten, die vor allem viel Geld und Zeit beanspruchen. Beim Bergsteigen geht es in dieser zweiten Phase bereits um die sportliche Leistung des Gipfelstürmens, nach der ersten Phase der naturwissenschaftlichen Erforschung der Alpen.
Die Schwestern Ilona und Rolanda von Eötvös, Baronessen aus Ungarn, mit Bergführern im Gebirgsmassiv Croda da Lago/Ampezzaner Dolomiten, Stereofotografie, 1896. (Fotograf: Loránd Eötvös; Ungarisches Museum für Technik und Verkehr, Budapest, MMKM TTFGY 2019.1.241)
Alpinismus zunächst reine Männerdomäne
Heute im Rückblick und basierend auf den jüngsten Forschungsergebnissen zu „Frauen im Aufstieg“ kann man die damalige Situation nur mehr vordergründig als „reine Männerdomäne“ bezeichnen. Nur auf die erste Betrachtung hin, weil die allergrößte Zahl der Erstbesteigungen durch Männer erfolgt ist und die allermeisten Lichtbilder von Fotografen gemacht worden sind.
Alpinistinnen wurde Unweiblichkeit und Gesundheitsgefährdung unterstellt
Zudem wird Bergsteigerinnen Unweiblichkeit und eigene Gesundheitsgefährdung vorgeworfen, und auch die Geschichtsschreibung des Alpinismus ist durch das „starke“ Geschlecht verfasst worden – wo konnte da also das (vermeintlich) „schwache“ Geschlecht vorkommen? Noch dazu, wenn es diesem gar nicht darum ging, in der Öffentlichkeit zu stehen. Hintergründig könnte man behaupten, dass bergsteigerische Leistungen mit langem sperrigem Rock sogar noch etwas höher anzusetzen sind als Erklimmungen durch die Männer in Hosen; und bei genauer Recherche lassen sich gar nicht so wenige Frauen finden, die in den frühen Alpinismus einzuordnen sind. Übrigens wurden Hosen für Frauen zunächst als skandalös angesehen, gegen Ende des 19. Jahrhunderts lösten endlich breite Hosen („Bloomers“) die Röcke ab. In der zeitlichen Übergangsphase hat die Engländerin Lucy Walker 1871 als erste Frau den Gipfel des Matterhorns erreicht und einen anderen Ausweg gewählt: nämlich den lästigen Rock hinter einem Felszacken zu verstecken und dann im leichten knöchelfreien Unterrock weiter zu klettern …
Zugegebenermaßen konnten innerhalb der damaligen gesellschaftlichen Konventionen – und wir sprechen hier von der zweiten Hälfte des 19. bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein – nur jene Frauen aus der Enge ausbrechen, die gebildet, wirtschaftlich unabhängig und/ oder unverheiratet und/ oder als Töchter/ Schwestern/ Freundinnen/ Ehefrauen von der unmittelbaren Verwandtschaft bzw. der männlichen Partnerschaftsseite auf die Bergtouren mitgenommen worden sind. Und dieses Ausbrechen ist das eigentlich Revolutionäre innerhalb der allgemeinen Emanzipationsbewegung, nicht das pure Besteigen der Berge. Übrigens sind auf der Frauenseite mit Abstand erheblich mehr Touristinnen unterwegs als Einheimische. Als erste Reiseschriftstellerin gilt die die Dolomiten 1872 durchwandernde Engländerin Amelia Edwards. Einmalig ist wohl Aubrey Le Blond, geb. Elizabeth Whitshed (1860–1934), die nicht nur den Mont Blanc bestiegen und sehr gut fotografiert, sondern auch 1907 in London den „Ladies Alpine Club“ gegründet hat – nachdem das „männliche“ Pendant „Alpine Club“ keinesfalls Frauen als Mitglieder aufnehmen wollte.
Herausfordernd für die Porträtierte und den Fotografen Theodor Wundt: die Holländerin Jeanne Immink auf dem Band der Kleinen Zinne, 1893. (Theodor Wundt, Ich und die Berge. Ein Wanderleben, Berlin 1917)
Und wenn vielleicht auch die eine oder andere unbekannt gebliebene Frau schon vorher auf einem Dolomitengipfel gestanden sein mag: Sicher ist, dass die 21-jährige Schluderbacher Hotelierstochter Anna Ploner als erste Frau 1874 den Monte Cristallo bezwungen hat – und damit nur neun Jahre nach der Erstbesteigung durch Paul Grohmann, Angelo Dimai und Santo Siorpaes.
Anna Ploner, Hotelierstochter aus Schluderbach, neben ihr von links nach rechts: Hans Ploner, Michl Innerkofler und Luigi Orsolina, 1874. (Walther Schaumann, Schauplätze des Gebirgskrieges Ia 1915-17. Östliche Dolomiten Sexten bis Cortina d’Ampezzo, Bassano del Grappa 1985)
Zielrichtung der virtuellen Ausstellung ist es, die Anfangsphase der „Frauen im Aufstieg“ in den Dolomiten in Bild und Wort zu dokumentieren. Der zeitliche Rahmen liegt dabei zwischen 1870 und 1930. Vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse und geschlechterspezifischen Rollenbilder wird ein biographischer Zugang gewählt, der die beachtlichen alpinen Leistungen einordnet. Die Fotografien zeigen zum Einen die Bergsteigerinnen selbst und zum Anderen historische bis zeitgenössische Aufnahmen der erklommenen Gipfel und Zacken – von den Ampezzaner bis zu den Südtiroler Dolomiten. In den allermeisten Fällen handelt es sich, wie gesagt, um Fotos und Bergtouren wohlhabender bzw. finanziell unabhängiger Touristinnen, nicht um Einheimische. Die Lichtbilder stammen aus Budapest, Cortina d‘Ampezzo, Belluno, verschiedenen Sammlungen des Tiroler Photoarchivs sowie aus oft bereits vergriffener (historischer) Literatur.
Mag. phil., Dr. phil., Master of Arts, geb. 1971 in Lienz; Studium der Geschichte in Innsbruck und New Orleans; seit 2011 Leiter des neu geschaffenen Tiroler Archivs für photographische Dokumentation und Kunst (TAP); Publikationen zu Österreich im Kalten Krieg sowie zur Geschichte und Visual History Tirols und Südtirols im 19. und 20. Jahrhundert.
Foto: © Bernd Lenzer