In Innervillgraten im Osttiroler Villgratental stimmten im April 1938 73,7 % für den „Anschluss“ an das Deutsche Reich – signifikant weniger als in allen anderen österreichischen Gemeinden. Das resistente Verhalten der Bevölkerung zeigt sich noch heute in einigen Kulturdenkmalen.
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Inmitten der stillen Bergwelt von Kalkstein, am Talschluss des Villgratentals, befindet sich ein Ort mit ganz besonderer Ausstrahlung: das historische Widum. Gleich neben der Wallfahrtskirche Maria Schnee gelegen, diente es über Generationen hinweg als Rückzugsort für Priester und Wallfahrer. Heute ist es untrennbar mit der Geschichte des Ortes verbunden. Denn: An seiner Außenwand befindet sich eine Gedenktafel zu Ehren des ermordeten Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß.
Symbole einer dunklen Epoche
In der Mitte dieser Gedenktafel ist ein Doppeladler abgebildet, der über Jahrhunderte ein zentrales Symbol der Habsburgermonarchie war. Er zeigt zwei einander zugewandte Adlerköpfe auf einem gemeinsamen Körper – ein Zeichen der kaiserlichen Macht über Ost und West. Flankiert wird der Doppeladler von sogenannten Kruckenkreuzen, das sind Kreuze mit kurzen Querbalken an allen vier Enden. Ursprünglich stammt es aus der christlichen Symbolik und wurde etwa im Mittelalter als Jerusalemkreuz verwendet. In Österreich erhielt es jedoch eine neue politische Bedeutung: Ab 1933 wurde es zum offiziellen Symbol der Vaterländischen Front – der Einheitspartei des autoritären Ständestaates unter Engelbert Dollfuß. Das Kruckenkreuz sollte die Ablehnung von Nationalsozialismus und Kommunismus sowie die Verbindung von katholischem Glauben und österreichischem Patriotismus ausdrücken.
Montiert hatte die Tafel Vinzenz Schaller, ein Anhänger des faschistischen Kanzlers Dollfuß, der 1939 den Eid auf Hitler verweigerte und in in der Folge im Konzentrationslager Dachau interniert wurde. Bei Kriegsbeginn hatte er die Tafeln umgedreht, als er nach Hause zurückgekehrt war, wieder aufgedeckt. So haben sie das Nazi-Regime überdauert.
Kein Versteckspiel
In der Öffentlichkeit wurde in den letzten Jahren kontrovers diskutiert, ob die Kreuze als „belastetes Erbe“ entfernt oder als Mahnung erhalten werden sollen. Die Diözese Innsbruck, Eigentümerin des Widums, entschied sich schließlich im Jahr 2023, die Tafel nicht zu entfernen. Stattdessen wurde eine Informationstafel angebracht, auf der die Symbole historisch erklärt werden.
Grüß Gott!
Was üblicherweise als herzlicher Willkommensgruß gilt, wurde 1938 zur Kampfansage. Adolf Hitler hatte Österreich in das Deutsche Reich eingegliedert, Nationalsozialisten feierten getreu dem Wahlspruch „Heim ins Reich.“ Überall sollten nach dem Willen der NS-Schergen Hakenkreuzfahnen wehen. Auch in Innervillgraten. Am Außerlanserhof lehnte man den Anschluss wie viele andere Dorfbewohner ab. Josef Rainer brachte seinen Protest auf besondere Weise zum Ausdruck: Anstatt eine Hakenkreuzfahne zu hissen, machte sich der Bauer am Balkon des Hauses zu schaffen und schnitzte in eineinhalb Jahren den weithin sichtbaren Schriftzug „Grüß Gott!“ ins Holz. Mit der Kirche wollten sich die Nazis offenbar nicht anlegen, schon gar nicht im Villgratental, wo die Menschen besonders gläubig waren.
Das hölzerne „Grüß Gott“ fällt heute Gästen und Einheimischen ins Auge und ist sowohl zeitgeschichtliches Dokument als auch eine stille Mahnung.
Unmittelbar neben dem Widum befindet sich die Wallfahrtskirche Maria Schnee, die anlässlich eines Pestgelöbnisses erbaut wurde.
Auch das Freilichtmuseum Alpines Leben ist nicht weit – dort gibt es den Sommer über Vorführungen, wie einst mit einer Venezianersäge Holz geschnitten und mit einem Lodenstampf Loden gewalkt wurde.