Wer die Pfarrkirche von St. Jakob betritt, taucht in ein farbenprächtiges Universum: Satte Fresken bedecken Kuppeln und Gewölbeteile, sie erzählen biblische Szenen. Ein Detail sticht ins Auge – und verblüfft: Mitten in der Kuppel thront der austrofaschistische Kanzler Engelbert Dollfuß, eingebettet in eine himmlische Huldigung.
Beitrag anhören (KI-generiert)
Die Pfarrkirche St. Jakob im Defereggental wurde 1839 als klassizistischer Neubau errichtet. Die Wandmalerei in der Apsis und in den Kuppeln wurde, nachdem der Bau knapp 100 Jahre nur getüncht war, erst in den Jahren 1934/ 35 durch den Brixener Priestermaler Johann Baptist Oberkofler geschaffen. Sie ist sowohl formal wie ikonologisch ein Zeugnis der ständestaatlichen Gesellschaft im Österreich der Zwischenkriegszeit.
Lässt man den Blick in das Zentralgewölbe hinaufwandern, ist dort, in prunkvollem spätbarockem Illusionismus, Christus als König am Kreuz dargestellt. Eine goldene Krone ziert sein Haupt. Um ihn herum knien der letzte österreichische Kaiser Karl I. und – unerwartet – der austrofaschistische Kanzler Engelbert Dollfuß, der zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Fresken bereits ermordet worden war. Das politische Statement ist nicht zu übersehen. Die „Huldigung der ganzen Erde vor dem Leidenskönige“ vereinte biblische Ergebenheit mit Repräsentanten des kirchlich-nationalen Staates – einschließlich Dollfuß als Märtyrerfigur. Karl I. symbolisiert das alte Gottesgnadentum; Dollfuß dagegen steht für den neuen „Ständestaat“, der sich als Gottesstaat versteht – mit den Enzyklika „Quas Primas“ von Pius XI. als ideologische Legitimation.
Vom Schweigen der Wände: Das Fresko in der Nachkriegszeit
Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 hätte das Fresko leicht entfernt werden können – doch es blieb erhalten. Bis heute entfachen die Gesichter der Männer unter dem Kreuz Debatten: Sollte man sie überarbeiten? Entfernen? Oder als historisches Zeugnis stehen lassen?
Das Defereggental, tief katholisch verwurzelt, entschied sich für Letzteres: Das Fresko überstand die Jahrzehnte, blieb im Kirchenschiff, bewahrt – und provoziert.
Zwischen Kunst, Glauben und Politik
Wer dieses Fresko heute besucht, sieht nicht nur ein Kunstwerk, sondern auch ein geschichtliches Echo: ein Fenster zu einer Epoche, in der kirchliche Räume politische Identität formten – und in denen Ortskirchen wie diese zum Schauplatz politischer Erinnerung wurden.
Tagsüber zugänglich
Wer sich kunstgeschichtlich weiter in das Dollfuß Fresko vertiefen möchte, dem sei ein Artikel von Kunsthistoriker Rudi Ingruber ans Herz gelegt.